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Exzellenzcluster ORIGINS: Die große Frage nach dem Anfang von allem

22.05.2025

Im Interview erzählt Barbara Ercolano, LMU-Physikerin und Co-Sprecherin des Clusters, wie eine einzigartige Forschungsplattform entstand, die sich grundlegenden Themen widmet, etwa dem, ob es da draußen noch irgendwo Leben gibt.

Beginnen wir gleich mit der großen Frage: Entsteht das Leben als unvermeidliches Ergebnis der physikalischen Prinzipien, die das Universum regieren?

Barbara Ercolano: Ja, das ist die große Frage, an der wir arbeiten. Angefangen haben wir schon 2006, als Universe als einer der ersten Exzellenzcluster überhaupt den Zuschlag bekommen hat. Damals war die Arbeitshypothese, die uns Astrophysiker mit den Teilchenphysikern verband: Die Welt, wie wir sie erleben, hat ihren Ursprung im Urknall. In den allerersten Sekundenbruchteilen nach dem Big Bang haben sich im Grunde schon die physikalischen Prinzipien etabliert, die kleinste Dichteschwankungen zu Massenzusammenballungen anwachsen und weit später Sterne, Galaxien entstehen ließen. Und letzten Endes all die Bausteine, die das Leben braucht.

Der Pferdekopfnebel, der zum Sternbild Orion gehört. Die Panoramaaufnahme stammt von Euclid, dem neuesten Weltraumteleskop der ESA, an dem ORIGINS-Forschende beteiligt sind. Nie zuvor konnte ein Teleskop so scharfe astronomische Bilder über einen so großen Himmelsbereich anfertigen und gleichzeitig so tief ins entfernte Universum blicken.

© ESA/Euclid/Euclid Consortium/NASA, image processing by J.-C. Cuillandre and G. Anselmi, CC BY-SA 3.0 IGO

Die Suche nach Leben kam dann mit ORIGINS ins Spiel, dem Exzellenzcluster, der 2019 aus Universe hervorging und jetzt mit dem Zuschlag durch DFG und Wissenschaftsrat in die zweite Runde geht.

Ercolano: Ja, damals haben wir die Biophysik ins Boot geholt. Denn um untersuchen zu können, wie in dem physikalischen Setting letzten Endes erste Moleküle entstehen konnten, die Information speichern und verbreiten, brauchten wir diese spezielle Expertise. Jetzt stellen wir uns bei der Suche nach den Bedingungen für Leben die Frage, in welchen Atmosphären dies möglich wäre. Wir werden voraussichtlich in den nächsten 20 Jahren genaue Spektra von Exoplanetenatmosphären bekommen. Aber das allein reicht nicht, wir müssen untersuchen, wie auch geologische Prozesse sie beeinflussen. Deswegen haben wir jetzt zusätzlich noch die Geowissenschaften mit an Bord.

Wie destilliert man überhaupt eine solche Leitfrage heraus und wie bricht man sie auf einzelne Disziplinen und Arbeitspakete herunter?

Ercolano: Wir haben mit der ganzen ORIGINS-Community eine Reihe von Workshops und Konferenzen gehabt – unter der Leitfrage, wie unser Universum habitabel, also ,bewohnbar‘, geworden ist. Und jeder konnte Projekte vorschlagen, die zur Beantwortung beitragen könnten. Daraus ein kohärentes Programm zu machen, das mehr ist als die Summe seiner Teile, darin stecken gut eineinhalb Jahre Arbeit. Wir haben mit dem Cluster und der Infrastruktur im Raum München mittlerweile eine dicht vernetzte Plattform. Und auf diesem Interface schweißen wir unterschiedliche Disziplinen wie zum Beispiel Geowissenschaften und Astrophysik zusammen, die so eine gemeinsame Sprache lernen können, gemeinsam mit ihren Studenten und Doktorandinnen, die damit automatisch eine perfekt interdisziplinär arbeitende Generation bilden.

Ein Neutrino-Experiment unter dem Pazifik

Einzelne Disziplinen zu bestimmten offenen Fragen zusammenzuspannen, zieht sich ja als Prinzip durch die Konstruktion des Clusters.

Ercolano: Ja, wir haben zehn solcher Konnektoren. Zum Beispiel untersuchen Astrophysiker und Kosmologen, wie die grundlegenden Kräfte und Geometrien des Universums mit Dunkler Materie und Dunkler Energie in Beziehung stehen. Insgesamt können wir auf den Erfolgen aus der ersten Phase und dem generellen Fortschritt auf unserem Feld bei spektroskopischen Missionen im Weltall und neuen Teilchenbeschleunigern aufbauen. So haben unsere Forschenden zum ersten Mal Neutrinos nachgewiesen, die direkt aus dem Zentrum einer weit entfernten Galaxie zu uns kamen. Jetzt wollen wir untersuchen, wie diese Neutrinos mit Dunkler Materie zusammenhängen. Voraussichtlich können wir dazu noch in diesem Jahr die Pilotphase eines neuen Neutrino-Experiments vor der Küste von Vancouver starten. In gut zwei Kilometer Tiefe wollen wir im Pazifik in einem riesigen, einen Kubikkilometer umfassenden Detektorsystem hochenergetische Neutrinos nachweisen. Sie sehen, wir decken immer verschiedene Felder gleichzeitig ab.

„Wir haben mit dem Cluster und der Infrastruktur im Raum München mittlerweile eine dicht vernetzte Plattform", sagt Barbara Ercolano. „Und auf diesem Interface schweißen wir unterschiedliche Disziplinen wie zum Beispiel Geowissenschaften und Astrophysik zusammen, die so eine gemeinsame Sprache lernen können, gemeinsam mit ihren Studenten und Doktorandinnen, die damit automatisch eine perfekt interdisziplinär arbeitende Generation bilden."

© Florian Generotzky / LMU

Glasregen und ein Jahr von wenigen Stunden

Vielleicht können wir an einem Punkt kurz in die Tiefe gehen: Was kann Ihre eigene Forschung zum Verständnis von Lebensformen beitragen? Was ist also dieser kleine Baustein von Barbara Ercolano?

Ercolano: Ich untersuche, wie Planeten in protoplanetaren Scheiben entstehen. Wir wissen heute, dass alle Sterne wie unsere Sonne durch einen sogenannten Akkretionsprozess geboren werden, der diese Scheiben aus Materie um die Sterne herum erzeugt. Und genau dort bilden sich die Planeten. Wenn Sie also einen sonnenähnlichen oder kleineren Stern am Himmel sehen, können Sie sicher sein, dass er ein Planetensystem hat. Als ich promovierte, wurde der erste dieser Exoplaneten gefunden, das war im Jahr 1995. Heute kennen wir rund 6.000 solcher Planeten – in einer großen Vielfalt, einige mit sehr seltsamen Eigenschaften, auf manchen regnet es nicht Wasser, sondern Glas, auf anderen dauert ein Jahr nur wenige Stunden oder Tage. Ich bin davon überzeugt, dass diese Vielfalt nicht auf den Prozess der Planetenentstehung selbst zurückzuführen ist, der eindeutig ein physikalischer Prozess ist und überall gleich abläuft. Was jeweils anders ist, sind die Anfangsbedingungen. Und die wiederum werden von den protoplanetaren Scheiben diktiert. Welche Gase sind darin vorhanden, in welcher Konzentration? Wie groß ist der Stern im Zentrum der Scheibe? Wie viel Röntgenstrahlung sendet er aus? All das hat entscheidenden Einfluss. Am Ende muss ein Planet, damit er bewohnbar ist, eine bestimmte Größe haben, er muss felsig sein und ein gemäßigtes Klima haben.

Aber damit ist noch nicht alles gesagt, oder?

Ercolano: Wenn man klären will, wie bewohnbare Planeten entstehen, muss man die Ausgangsbedingungen genauer untersuchen. In den letzten 15 Jahren haben wir uns mit dem Zusammenhang zwischen dem Stern, der die Energie liefert, und der Entwicklung der ihn umgebenden Scheibe befasst, aus der sich dann die Planeten bilden. Und insbesondere haben wir begonnen, auch die Schnittstelle zwischen der Entwicklung der Scheibe und der Planetenbildung zu untersuchen, um zu verstehen, wie Planetenatmosphären entstehen und wie sie aussehen können. Die chemischen Elemente, die auf den Planeten verfügbar sind, könnten der Baukasten sein, der erste Schritte des Lebens möglich macht.

Ist das die Bestätigung dafür, dass der Zusammensetzung von Staub- und Gaswolken die Bedingungen für Leben von Anfang an eingeschrieben sind?

Ercolano: Nein, nicht mit Sicherheit. Die gleiche Zusammensetzung von Staub und Gas kann einmal zu Leben führen, ein anderes Mal nicht. Die anderen Rahmenbedingungen können eben unterschiedlich sein, etwa die Entfernung eines Planeten vom Stern, was dann wiederum andere chemische Prozesse in Gang setzen kann. Wenn aber die Entfernung zum Stern so ist, dass an der Oberfläche eine Temperatur herrscht, bei der Wasser flüssig ist, dann wäre das schon mal eine sehr gute Voraussetzung. Wir haben aber auch gesehen, dass auch Monde von Riesenplaneten wie Jupiter oder Saturn bewohnbar sein könnten, nicht weil sie den richtigen Abstand zur Sonne haben, sondern weil die Gezeitenkräfte des Planeten den Mond wärmen. Und das besonders Interessante: Es entstehen so Zyklen von Trockenheit und Feuchtigkeit auf dem Mond, die die Entstehung erster informationstragender Moleküle begünstigen. Das kann auch für sogenannte free-floating planets gelten, die aus ihrem Sonnensystem herausgeschleudert wurden und einsam durchs All fliegen. Was die Erde angeht, müsste sie nach unseren Berechnungen eigentlich trocken sein. Wahrscheinlich ist das Wasser mit wasserreichen Meteoriten oder Asteroiden zu uns gekommen.

„Wenn Sie einen sonnenähnlichen oder kleineren Stern am Himmel sehen, können Sie sicher sein, dass er ein Planetensystem hat“, sagt Barbara Ercolano.

© Florian Generotzky / LMU

Hunderte Milliarden von Planeten in unserer Galaxie

Gibt es unter den heute rund 6.000 bekannten Exoplaneten schon einen Kandidaten, auf dem es Leben geben könnte?

Ercolano: Aus meiner Sicht muss es das geben – irgendwo. Aber wenn wir es schon auf einem dieser knapp 6.000 Exoplaneten fänden, würde das bedeuten, dass Leben superhäufig ist. Es gibt ja Hunderte Milliarden von Planeten allein in unserer Galaxie. Aber was sind eigentlich die Biosignaturen, nach denen wir suchen müssen, die Lebenszeichen? Ich bin sicher, dass in den kommenden Jahren haufenweise Veröffentlichungen erscheinen, in denen Forschende behaupten, Leben gefunden zu haben. Und wenig später andere Paper, die die Indizien auseinandernehmen.

Aber wie könnte dieses Leben da draußen überhaupt aussehen? Ganz anders als auf der Erde? Es gibt ja die Diskussion, ob das Leben wie bei uns Kohlenstoff als Basis haben muss.

Ercolano: Schwer zu sagen. Wenn es auf einer ganz anderen Chemie beruht, zum Beispiel schwefelbasiert ist, würden wir es womöglich gar nicht erkennen.

Was erhoffen Sie sich von neuen Weltraum-Missionen wie Twinkle, an der Sie auch beteiligt sind?

Ercolano: Twinkle wird die Atmosphären von Exoplaneten im Infrarot-Bereich erforschen. Da rechnen wir mit detaillierten Erkenntnissen zu Biosignaturen und Gaszusammensetzungen. Und wir bekommen zum ersten Mal einen Survey, mit dem wir viele Planeten vergleichen können. Ich leite drei Forschungsteams unter anderem zu der Frage, welche Kohlenwasserstoffverbindungen sich finden lassen, wichtige Bausteine in der präbiotischen Chemie. Wir wollen im Rahmen von ORIGINS 2 auch das Teleskop auf dem Wendelstein um einen neuen Spektrographen erweitern, unter anderem auch, um Exoplaneten zu beobachten. Es ist zwar ein eher kleines Teleskop, hat aber den Vorteil, dass wir nicht wie bei den großen monatelang auf Beobachtungszeiten warten müssen.

Brauchen wir eine neue Physik?

Die Euclid-Mission, an der ORIGINS ebenfalls wesentlich beteiligt ist, hat bereits beeindruckende Daten geliefert. Wie wichtig ist das für den neuen Cluster?

Ercolano: Mit der Euclid-Mission kommen wir in den Bereich einer Präzisionskosmologie. Damit lassen sich Dichteverteilungen im Kosmos in bisher ungekannter Auflösung vermessen, was Aussagen zu Dunkler Materie und Dunkler Energie erwarten lässt: Lassen sich die Widersprüche in den Berechnungen von grundlegenden kosmologischen Konstanten auflösen? Oder brauchen wir ein anderes kosmologisches Modell, eine neue Physik?

Alle Forschungsprojekte, die wir besprochen haben, schaffen eine stetig steigende Flut von Daten. Wie gehen Sie bei ORIGINS damit um?

Ercolano: Unser Konzept für das ORIGINS Data Center sieht vor, unsere Daten für die ORIGINS Community, aber auch für Forschende in aller Welt so aufzubereiten, dass sie verfügbar, reproduzierbar und interoperabel sind. Das heißt, dass wir nicht nur Daten und Ergebnisse bereitstellen, sondern auch Hinweise zu den Methoden. Für unser Dark Matter Center haben wir damit schon begonnen. Wir werden auch mehrere sogenannte Data Stewards bekommen, die Daten für die verschiedenen Disziplinen anpassen. Und nicht zuletzt wird künftig auch Machine Learning dabei eine wichtige Rolle spielen.

Ein weiterer Euclid-Blick ins Universum: auf Messier 78, eine „Kinderstube der Sternentstehung“, die von einem Mantel aus interstellarem Staub umgeben ist. Messier 78 befindet sich in 1.300 Lichtjahren Entfernung im Sternbild Orion.

© ESA/Euclid/Euclid Consortium/NASA, image processing by J.-C. Cuillandre (CEA Paris-Saclay), G. Anselmi; CC BY-SA 3.0 IGO
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Wie wollen Sie Ihre Erkenntnisse auch einem breiten Publikum nahebringen?

Ercolano: Auf Öffentlichkeitsarbeit haben wir auch in der Vergangenheit schon großen Wert gelegt. Wir haben Hunderte von Events auf die Beine gestellt. Wir arbeiten zum Beispiel mit dem Ausstellungszentrum Supernova der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Garching zusammen. Auch mit dem Deutschen Museum kooperieren wir eng. Für 2029 ist dort die Eröffnung einer Dauerausstellung zu ORIGINS-Themen geplant, in der es auch neu entwickelte Experimente für Schüler geben wird. Überhaupt werden wir mit dem neuen Center for Origins Research Education (Core) unsere Aktivitäten für Schülerinnen und Schüler verstärken, um diese für Naturwissenschaften zu begeistern. Schließlich brauchen wir auch künftig interessierten Nachwuchs, der uns helfen kann, die Frage nach dem Ursprung des Lebens zu ergründen.

Prof. Dr. Barbara Ercolano leitet eine Arbeitsgruppe zu Planetenentstehung und protoplanetaren Scheiben an der LMU und ist Co-Sprecherin des Exzellenzclusters ORIGINS: Vom Ursprung des Universums bis zu den ersten Bausteinen des Lebens, der Forschende von LMU und Technischer Universität München (TUM) vereint. Co-Sprecher ist Prof. Dr. Stefan Schönert, Lehrstuhl für Experimentelle Astroteilchenphysik an der TUM. Beteiligt sind außerdem die Max-Planck-Institute für Astrophysik, für Extraterrestrische Physik, für Physik, für Plasmaphysik und für Biochemie sowie die Europäische Südsternwarte (ESO), das Leibniz Rechenzentrum (LRZ) und das Deutsche Museum.

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